von Tim Varelmann
Energie wird immer teurer und diese Entwicklung macht auch vor elektrischer Energie nicht halt. Grüner Strom ist mittlerweile günstiger Strom. Leider wird grüner Strom nicht unbedingt produziert, wenn viel Strom nachgefragt wird, sondern zu großen Teilen dann, wenn die Sonne scheint und/oder der Wind weht. Ein schwankendes Angebot erneuerbarer Energien führt auch zu einem schwankenden Preis erneuerbarer Energien, denn der Preis beschreibt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Große industrielle Stromverbraucher haben Zugang zu "Großhandelspreisen" auf einem Strommarkt, der Day-ahead-Markt genannt wird. Dort schwanken die Preise stündlich, werden aber schon zur Mittagszeit des Vortages festgelegt, so dass der Stromverbrauch entsprechend diesen Preisen geplant werden kann. Für solche Industriekunden sind stündlich schwankende Strompreise gang und gäbe; private Haushalte sind damit oft noch nicht vertraut, obwohl immer mehr Stromversorger auch für sie variable Tarife anbieten.
Viele elektrische Großverbraucher sind in der chemischen Prozessindustrie beheimatet, wo Produktionsprozesse lange Zeit „Strich gefahren“ wurden. Das bedeutet die Produktionsrate war zu jedem Zeitpunkt exakt gleich, oft 24 Stunden am Tag und sieben Tage pro Woche. Solch eine Produktionsstrategie vereinfacht die Prozessregelung, aber eigentlich könnten viele Prozesse auch zeitlich variabel produzieren. Als Wissenschaftler habe ich mich damit beschäftigt diese Flexibilität zu nutzen, um die Nachfrage der industriellen Stromverbraucher an das Angebot erneuerbarer Energien anzupassen. Damit wird erneuerbare Energie in höherem Maße dann verbraucht, wenn sie produziert wird; das Stromnetz braucht weniger Speicherkapazität für elektrische Energie; und die Industrie produziert viel, wenn der Strom günstig ist, und wenig, wenn der Strom teuer wird, was ihre Energiekosten reduziert.
In dieser Serie möchte ich auf einfache Weise darstellen, wie numerische Optimierung solche Produktionspläne bereitstellen kann. Als Beispiel soll die Herstellung von Aluminium dienen. Die Produktion von Aluminium ist physikalisch relativ simpel, und erfordert kein Verständnis komplizierter Naturwissenschaften um die Essenz von numerischer Optimierung zu verdeutlichen. Natürlich kann mathematische Optimierung auch für andere Produktionspläne und ganz andere Ziel genutzt werden - besonders überall dort, wo komplizierte Entscheidungen getroffen werden.
Der Rohstoff, aus dem Aluminium hergestellt wird, heißt Bauxit. Bauxit ist ein Aluminiumerz, welches im Tagebau abgebaut wird. Ein Aluminiumerz ist eine Verbindung von Aluminiummolekülen mit anderen Molekülen wie zum Beispiel Wasserstoff und Sauerstoff. Für das Aluminium ist Bauxit so etwas wie ein Sofa: In der Verbindung mit anderen Molekülen haben es sich die Aluminiummoleküle bequem gemacht, so dass Bauxit sehr wenig Energie hat. Anders als Menschen, die auf dem Sofa liegen, müssen Aluminiummoleküle nichts essen, auf die Toilette gehen, oder aus anderen Gründen ihr Sofa verlassen. Daher kann man sich gut vorstellen, wie niedrig die Energie von Bauxit ist, wenn man es sich als Sofa vorstellt, das so bequem war, dass es möglicherweise über Millionen von Jahren nie verlassen wurde.
Aluminium herzustellen, bedeutet die Aluminiummoleküle aus dem Erz herauszutrennen, also die Moleküle vom Sofa aufzuscheuchen – klar, dass dazu eine Menge Energie nötig ist. Für jede Tonne Aluminium sind fast 15 MWh elektrische Energie nötig – dafür müssen fünf große Windkraftanlagen eine Stunde lang Strom liefern. Bei der Elektrolyse wird elektrische Energie genutzt, um in einem Behälter mit heißer Bauxit-Aluminium-Masse die Aluminiummoleküle aus dem Bauxit herauszulösen. Das reine Aluminium ist schwerer als die Bauxit-Aluminium-Masse und sinkt deshalb zu Boden, wo es leicht aufgesammelt werden kann.
Die Herstellung von Aluminium ist also ein sehr energieintensiver Prozess, der aber mit einem optimalen Produktionsplan einen hohen Anteil erneuerbarer Energien nutzen kann. Teil 2 dieser Serie entwickelt ein vereinfachtes Modell der Aluminiumanlage, welches die Entscheidungen zur optimalen Produktionsplanung für einen Computer verständlich beschreibt. Teil 3 beschreibt wichtige Punkte bei der Auswahl geeigneter Algorithmen zur Lösung des Optimierungsproblems, und zeigt einen optimalen Produktionsplan für den oben abgebildeten Strompreisverlauf.
Wenn du auch gern komplizierte Entscheidungen an deinen Rechner delegieren möchtest, gib mir Bescheid, ich helfe gern!
Dank an Fabian Viefhues für das Korrekturlesen dieses Artikels und seine aufmerksamen Hinweise.
Im Gespräch mit interessierten Leuten sage ich häufig, dass Computer mit Optimierung nicht-emotionale Entscheidungen treffen können. In meinen Projekten sind das meist Planungen: Von Produktion, Energiegewinnung oder Transporten. Weniger alltägliche Entscheidung sind in diesem magisches Beispiel.
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